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deutsch  Relativismus / Universalismus

Roger Pfau: emailropf@leute.server.de, 15.04.2002, 11:18
Original: deutsch Relativismus / Universalismus (Bertold Bernreuter), 12.04.2002, 19:51



Lieber Bertold Bernreuter!

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... dass wir Philosophen weitgehend einpacken können, da aufgrund der Komplexität der Wirklichkeit keine ethisch begründbaren Handlungspostulate möglich sind, sondern die Menschen in einem moralischen Relativismus gefangen sind, der noch dazu weitgehend von Machtfaktoren bestimmt ist. Ich habe das jetzt bewusst provokant verkürzt und hoffe auf Ihren lebhaften Widerspruch.
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Abgesehen davon, daß ich Philosophie - oder vielmehr die philosophisch fundierte Durchdringung der menschlichen Lebenswelt und Daseinsweise, was vielleicht nicht genau dasselbe ist - als unerläßlich dafür erachte, dem eigenen Leben Sinn abzuringen - und somit auch keinen einzigen Philosophen zum Einpacken zu bewegen wünsche :-) - abgesehen davon also werde ich mich hüten, Ihrer Verkürzung zu widersprechen, weil sie in komprimierter Form meiner Auffassung voll entspricht ....

Jedoch: Handlungspostulate sind IMMER ethisch begründbar. Meine Argumentation zielt nicht gegen diesen Sachverhalt, sondern setzt ihn voraus. Die Kritik lautet vielmehr: die Begründung ist belanglos, weil das Wissen, wie ich handeln muß, seiner Begründbarkeit vorausgeht. "Wissen" ist hier nicht als "angeeignete Kenntnis von Fakten und Verständnis ihrer Zusammenhänge" verstanden, sondern als "instinktives Spüren, welche Handlungsweise mir in dieser bestimmten Situation angemessen ist". Nach meiner Beobachtung läuft der Prozeß, wennn nicht immer so meisten, vom Tun zu seiner nachträglichen Rationalisierung. Ich gebe zu, daß dies im Alltag nicht ohne weiteres offensichtlich ist, da "wir alle" von Kind auf die Normen unserer Kultur verinnerlichen "durften". Ich erlebe jedoch trotz all dieser Normen immer wieder und als Regel, daß die individuelle Maximalverwirklichung das eigentliche Anliegen ist, welches mit mehr oder weniger großem Geschick von allen Menschen innerhalb meines Beobachtungsbereiches betrieben wird. Und ALLE finden Begründungen dafür, warum das, was sie tun mußten, gerechtfertigt ist. Also: ethische Maximen sind begründbar, plausibel, von mir aus auch wünschenswert - und sie erreichen nur in wenigen Personen das Ziel einer freiwilligen sozialkompatiblen Ausrichtung der eigenen Handlungsmaximen. Daß dies wiederum mit mehr oder weniger Geschick verschleiert wird, ist innerhalb einer strafenden Gesellschaft selbstverständlich.

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Ich sage deswegen "unnötig fatalistisch", weil ich zwar Ihren Einzeleinschätzungen zum Teil zustimme, jedoch nicht den Schlussfolgerungen daraus. Ich glaube, in Ihrer Position ist zu sehr Sein und Sollen miteinander vermengt. Die Tatsache von Macht (und Machtmissbrauch) etwa desavouiert ja noch nicht an sich die Möglichkeit einer ethischen Alternative.
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Zugegeben. Jedoch: die Möglichkeit der ethischen Alternative besagt noch nichts über deren "Reichweite" - war das nicht ein Argument, das Sie selbst in anderem Kontext vorbrachten? Ich denke, wir stehen hier an einer zentralen Frage hinsichtlich der Funktion von Philosophie. Wenn ich "denkerische und empfindende Autarkie" als Ziel individueller menschlicher Entwicklung begreife (utopisch, jedenfalls gesellschaftlich unerwünscht, ich weiß), so stellt sich mir die Frage: was kann Philosophie mir hierfür bieten? Oder ist Philosophie in ihrer Praxis darauf eingeschossen, Begründungen für das zu liefern, was gesellschaftlicherseits erlaubt oder erwünscht ist - übrigens ebenso apriori, wie das individuelle Wissen um das eigene situativ notwendige Vorgehen - und genauso verschleiert.


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Ich mag das Erbe der Aufklärung nicht vorschnell den Bach hinunter werfen. Zu diesem Erbe scheint mir auch die Unterscheidung zwischen formaler Geltung und materialen Inhalten zu gehören (die zugegebenermaßen nicht wirklich stringent durchzuhalten ist). So etwa à la Voltaire: "Ihre Meinung ist genau das Gegenteil der meinen; aber ich werde mein Leben daran setzen, dass Sie sie sagen können."
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Ich stimme dem im Prinzip zu. Jedoch: aus dem Umstand, daß ich Herrn Voltairs Maxime zustimme, versuche, sie zu leben und es für wünschenswert erachte, sie allgemeingültig werden zu lassen, folgt nicht, jedenfalls weder logisch noch emotional notwendig, ein Wunsch, dies auch jenen als Handlungsmaxime aufzuzwingen, welche die Welt mit anderen Augen sehen. Es gibt wohl den Wunsch, auf die Möglichkeit solcher Handhabung von Konflikten aufmerksam zu machen: dies ist jedoch ein Umstand, der seine Begründung ausschließlich in meinem Wesen findet, nicht in Vorstellungen allgemeiner Moral (worauf Ethik letztlich hinausläuft, so ihre Maximen in Verbindlichkeit übergeführt werden sollen), die ich für gültig hielte.

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Ich habe lange nicht gewusst, was ich dem Dilemma, das Yoshiro Nakamura zeichnet, entgegen setzen könnte. Vielleicht liegt das Problem ja darin, die Gültigkeit einer fremden Position als universal gültig zu betrachten, anstatt nur der Möglichkeit, sie zu äußern, universale Gültigkeit zuzugestehen. Die Achtung der Andersheit des Anderen ist damit keineswegs verletzt, zumindest dann nicht, wenn widerstrebende Positionen in einem gleichberechtigten Verfahren verhandelt werden können. Damit hätten wir es mit potentiell universalen Positionen zu tun, deren tatsächliche universale Gültigkeit sich erst noch erweisen müsste.
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Es scheint, ich bin nicht wirklich tolerant. Einerseits maße ich mir in keiner Weise an, ein "hierarchisches Empfinden" vom Wert verschiedener Kulturen zu hegen. Andererseits lege ich in allen konkreten EInzelfällen völlig selbstverständlich meine eigenen Maßstäbe an. Der - einzelne - Muslim, der seiner Frau oder seinen Töchtern Schulbildung vorenthält, darf nicht damit rechnen, sich bei mir mit kulturellen Eigenarten, die zu respektieren seien, rechtfertigen zu können. Eine solche Rechtfertigung ist vielmehr überflüssig, da an der von mir nicht gebilligten Handhabung sich ja nichts ändert. Es ist in aller Härte vielmehr so, daß dieser Mensch, nach einer angemessenen Chance, "draussen" ist aus dem Kreis derer, mit denen ich etwas zu tun haben möchte. Es ist ausschließlich in meiner Person begründet, nicht in allegemeinen Prinzipien. Daß viele meiner Maximen wiederum auf philosophische Einflüsse zurückzuführen sind, ändert nichts an diesem Grundsachverhalt.

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Das Problem ist damit zwar teilweise nur verlagert, weil diese Vorgehensweise von einer universalen Anerkennung der formalen Verfahrensregeln ausgehen muss, doch scheint mir darin zumindest bedeutendes Terrain gegenüber der Willkür und Ignoranz der Macht gewonnen zu sein.
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Nur in der Theorie, wie ich glaube, nicht in der Praxis. "Reichweite" ist Ihr Argument :-).

Ich hoffe, Sie mit meinen laienhaften Ausführungen nicht allzusehr zu langweilen. Ich bin "nur" Hobbyphilosoph, wenn auch aus Leidenschaft. Betrachten Sie meine Darlegungen von daher am besten als zornig-hilflosen Versuch, einer Welt voll Kontingenz ihre Kontingenz dadurch heimzuzahlen, daß ich mich weigere, Proklamationen mit dem Sachverhalt zu verwchseln, auf den sie zu verweisen scheinen.

Ciao
Roger Pfau